CollectionPublié le 02.11.2018

Kunstvoll «gewickelt»


Catherine Depierraz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abegg-Stiftung

Für die Abegg-Stiftung waren die Vogelmumien ganz aussergewöhnliche Objekte. Die Textilrestauratorinnen hatten zwar schon öfters mit Grabfunden zu tun, aber noch nie mit ganzen Mumienbündel. Es war deshalb eine aufregende Sache, als die Anfrage des BIBEL+ORIENT Museums bei uns eintraf. Und schnell war auch klar, dass die Vogelmumien ein grösseres Forschungspotential bieten und als Thema für eine Masterarbeit geeignet wären. Rahel Vetter, die damals «älteste» Studentin der Textilkonservierung und -restaurierung war sofort begeistert und wählte sie für ihre Abschlussarbeit. Betreut wurde die Arbeit von Dr. Regula Schorta, Direktorin der Abegg-Stiftung, ihres Zeichens Textilrestauratorin und Kunsthistorikerin, und von Martin Troxler, wissenschaftlicher Präparator am Naturhistorischen Museum Bern, was sich als grosser Gewinn erwies. Rahel Vetter standen für die Masterthesis sechs Monate zur Verfügung. In dieser Zeit erarbeitete sie sich Grundlagen zum Thema, legte den Forschungsstand dar, erfasste und dokumentierte die Vogelmumien sowie deren Problematik, entwickelte ein Konzept für die Konservierung und dauerhafte Präsentation und führte dieses auch durch. Und natürlich mussten sämtliche Schritte in Wort und Bild festgehalten werden. Die folgenden Abschnitte stellen einige interessante Aspekte des Themas und wichtigste Erkenntnisse der Arbeit vor.

Tiermumien

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sind diese vergessenen Kultobjekte ausgegraben und von Archäologen wiederentdeckt worden. Tiermumien können geliebte Haustiere sein, die den Verstorbenen zur Begleitung ins Jenseits mit ins Grab gegeben wurden. Ebenfalls wurden Tiere als Speisen mumifiziert, die den Verstorbenen als Nahrung im Jenseits dienen sollten. Auch heilige Tiere, die eine Gottheit symbolisieren, wurden mumifiziert. Im Unterschied dazu wurde die zahlenmässig grösste Gruppe von Tiermumien den verschiedenen Gottheiten als Opfergaben dargebracht oder war den entsprechenden Gottheiten geweiht. Man geht davon aus, dass diese Form von Tiermumien entweder als ein Zeichen des Dankes oder mit der Bitte um einen Gefallen an eine bestimmte Gottheit dargebracht wurden.

Gewickelt oder nicht?

Die textilen Bestandteile von Tiermumien bekamen in der Forschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit. Rahel Vetter konnte erstens verschiedene Leinenstoffe identifizieren und zweitens den Schichtenaufbau des Mumienbündels und das Verzierungssystem dokumentieren (vgl. Abb.). Der mumifizierte Tierkörper (a) wurde zuerst in mehrere, oft etwas gröbere Leinenstoffe gehüllt (b) und mit Faden umschlungen (c). Erst danach wurde mit ungefärbten und gefärbten feinen Leinenstreifen effektvolle Verzierungen (d) erzeugt und eine äussere Hülle (e) angebracht. Frau Vetter fand heraus, dass es sich nicht um eine durchgehende Wicklung handelt, sondern um mehrere übereinander gelegte, kürzere Stoffstreifen. Diese Erkenntnisse gelangen ihr, ohne die Bündel zu öffnen! Denn natürlich versuchte sie, möglichst schonend vorzugehen und nicht in die Struktur der Objekte einzugreifen. Sie arbeitete deshalb viel mit Hilfe eines Mikroskops. Fehlstellen erlaubten ihr, weiter untenliegende Schichten zu untersuchen.

Verbräuntes und brüchiges Leinen

Durch die vielen Stoffschichten aus verbräuntem und brüchigem Leinen gestaltete sich auch die Konservierung/Restaurierung schwierig. Eine der Herausforderungen war zudem, dass es sich um fragile dreidimensionale Objekte handelte, die ausserdem schon einmal restauriert wurden. Damals hatte man ein Kunstharz aufgetragen, um fragile Stellen zu sichern. Das machte die Aufgabe noch komplexer. Rahel Vetter entschied sich für eine behutsame, reversible Behandlung. Zu den Massnahmen gehörten ein gründliches Absaugen der Gewebeoberflächen und das Abdecken von Fehlstellen mit Tüll. Darüber hinaus stellte sie für jede der Vogelmumien eine individuell angepasste Montage für die dauerhafte Aufbewahrung und Präsentation her. Die Vogelmumien sind jetzt so weit gesichert, dass sie aus konservatorischer Sicht wieder in die öffentliche Ausstellung des BIBEL+ORIENT Museums integriert werden können.

Oben: Ansicht der Falkenmumie von vorne.
Mitte: Kartierung und grafische Rekonstruktion der textilen Bestandteile.
Unten: Grafische Darstellung des Aufbaus der Mumie von innen nach aussen.